In diesem Sommer bestimmten die SlutWalks die feministische Berichterstattung – vorbei sind sie noch nicht, denn die nächsten Demonstrationen stehen in Bielefeld, Leipzig und Münster, sowie in Wien (Österreich) an. Dass feministische Forderungen wieder massenmedial rezipiert werden und tausende von solidarischen Menschen in zahlreichen Städten weltweit auf die Straße gehen, lässt zahlreiche feministische Herzen höher schlagen. Eine Mischung aus einer Sehnsucht nach feministischer Sichtbarkeit, erstarktem Selbstbewusstsein und einer gehörigen Portion Wut schwappte durch das Internet bis auf die Straße, begleitet von konstruktiver, aber auch vernichtender Kritik.
Auf US-amerikanischer Seite war einer der größten Kritikpunkte das unmarkierte Weißsein der Bewegung und die teils unkritische Verwendung des Wortes “Slut” (wir berichteten, aktuellster Debattenbeitrag: “Open Letter from Black Women to the SlutWalk“). Auch in Deutschland kritisierten Aktivist_innen von LesMigraS und Hydra die hiesigen SlutWalks und forderten eine komplexere Auseinandersetzung mit Mehrfachdiskriminierungen und dem unkritischen Aneigungsgedanken des Begriffs, sowie einen selbstkritischen Umgang mit den inhärenten klassistischen und rassistischen Ausschlussmechanismen der Bewegung.
Mitten in die anhaltenden Debatten zu (An-)Sprache und Ausschlüssen der SlutWalk Bewegung tauchte letzte Woche folgendes Bild einer Demonstrantin beim SlutWalk in New York City auf:
Triggerwarnung: Rassistische Sprache nach dem Klick
Zu lesen auf dem Schild war: Woman Is the N. of the World (zu deutsch: “Frauen sind die N. dieser Welt”), eine bekannte Textzeile aus einem Song von John Lennon und Yoko Ono aus dem Jahre 1972. Da es mehrere Fotos mit diesem Schild an unterschiedlichen Orten gibt, kann mensch davon ausgehen, dass das N.-Wort eine ganze Weile gut sichtbar auf der Demo zu sehen war. Letztendlich forderte eine der Organisatorinnen des SlutWalks die Demonstrantin dazu auf, das Schild wegzupacken.
Die Autor_innen von Racialicious, Crunk Feminist Collective, Mad Gastronomer und Afrolez sind von diesem Vorfall wenig überrascht: Die SlutWalks seien weiß-dominierte Veranstaltungen, auf der Rassismus kaum bis gar kein Thema sei, so die Kritik. Dies fange beim viel diskutierten Namen an und gipfele in einem Schild, welches nicht nur rassistische Sprache, sondern auch eine völlig indiskutable inhaltliche Aussage transportiert und von einer weißen (!) Frau auf einer feministischen (!) Demo in die Höhe gehalten wurde. Zurecht bemängelt wird auch, dass sich offensichtlich keine_r der (weißen) Demonstrant_innen zuständig fühlte, die Frau auf ihr Plakat anzusprechen.
Auf der Facebook Seite von SlutWalk NYC brach ein Sturm der Empörung los, leider auch inklusive zahlreicher rassistischer Kommentare. SlutWalk NYC reagierte prompt auf den Vorfall und veröffentlichte eine Stellungnahme, in der das Plakat auf’s Schärfste verurteilt wird. Bedauert wird die Tatsache, dass der SlutWalk offensichtlich kein safe(r) space für alle Beteiligten sein konnte. Die völlig unreflektierte Botschaft des Plakats verdeutlicht (wieder einmal), dass sich feministische Initiativen (selbst-)kritischer mit Rassismen in den eigenen Reihen auseinander setzen müssen.
Für dieses konkrete Beispiel bedeutet das, Sprecher_innenpostitionen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen stärker in den Fokus zu rücken: Wer ist von Begriffen in welcher Art und Weise betroffen, welche Geschichte(n) sind mit (diskriminierenden) Begriffen – in diesem Fall dem N.-Wort – verbunden? Wer beansprucht für sich oder eine Gruppe von Menschen diskriminierende Wörter auszusprechen, sich anzueignen oder umzudeuten? In welchem Kontext passiert das?
Das N.-Wort ist nur in wenigen Ausnahmen eine Selbstbezeichnung; historisch betrachtet ist es eine rassistische Fremdbezeichnung von weißen Menschen über Schwarze Menschen (mehr dazu bei der braune mob). Auch der historische Vergleich, der in diesem Spruch konstruiert wird, ist absurd – denn weder Frauen, noch die Menschengruppe, die unter dem rassistischen Label “N.” subsumiert werden soll, sind eine homogene Gruppe (mehr dazu hat Womanist Musings). Hier wird sichtbar, dass “Frauenrechte” eben die von weißen Frauen sind, während alle Schwarzen mit dem N.-Wort als Nichtfrauen markiert werden. Es ist darüber hinaus absolut indiskutabel, dass sich eine weiße Frau anmaßt, ihr erfahrenes Unrecht über das von Schwarzen zu stellen – auch bekannt als “Oppression Olympics“.
Kurz gesagt: Eine weiße Frau, die auf einer feministischen Demo mit einem Schild herumspaziert, welches das N.-Wort beinhaltet, ist sich über die komplizierten und miteinander verstrickten -ismen und die komplexen Selbst- und Fremd-Benennungspraxen nicht im Klaren. Die Diskussion, die beim SlutWalk in New York City geführt wird, war längst überfällig.